Text - "Die Bekanntschaft auf der Reise" Charlotte von Ahlefeld

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Es war ein schwüler Tag. Die Sonne verbarg sich hinter graues Gewölk, das ein Gewitter verkündigte. Das feierliche Schweigen der Natur verwandelte sich plötzlich in einen fürchterlichen Sturm, der den Staub der einsamen Landstraße, auf der ich reiste, als ein Spiel seiner Leidenschaft in finstern Wolken vor mir hertrieb. Immer dunkler und dunkler wurde der Horizont, nur bisweilen schauerlich von schnellen Blitzen erleuchtet, die ein dumpfer Donnerschlag begleitete. Ich glaubte mich fern von jedem schützenden Obdach - um so freudiger begrüßte mein Blick ein kleines Dorf, das sich am Fuß einer waldichten Anhöhe in den kühlen Schatten einiger Linden romantisch versteckte. Ernster und lauter rollte der Donner über mir, und da, ehe wir das Dorf noch erreichten, ein ganz ansehnliches Landhaus aus einem Kranz schwankender Pappeln hervortrat, so entschloss ich mich, hier abzusteigen, und einen heiteren Himmel zu erwarten, den mir vielleicht die nächste Stunde schon geben konnte.

Ein Paar gesunder, blühender Kinder spielte an der offenen Tür, lächelnd und sorglos, wie man die Unschuld mahlt. Mein Wagen hielt in einiger Entfernung - ich näherte mich ihnen, und frug nach ihren Eltern. Die Kleinen blickten mich freundlich an, und zeigten auf die Haustür. Da sich kein Erwachsener sehen ließ, so ging ich hinein. Es war nur eine einfache, ländliche Wohnung, über deren Schwelle ich schritt, aber sie machte einen angenehmen Eindruck auf mich, als mancher stolze Palast, den ich schon in meinem Leben betreten hatte. Ordnung, wenn sie nicht pedantisch und übertrieben ist, wirkt wohltätig auf jedes nicht verwahrlosen Gemüt, und hier verbreitete sie, mit der größten Reinlichkeit verbunden, ihren mildesten Zauber über die einfache Einrichtung des kleinen Hauswesens, das ich übersah. Die simple, aber rührende Melodie eines geistlichen Liedes, von einer reinen weiblichen Stimme gesungen, tönte leise und gedämpft aus dem stillen Wohnzimmer mir entgegen.

Ich klopfte an, und ein schönes Mädchen von höchstens vier und zwanzig Jahren kam heraus, und erwiderte meinen Gruß mit unwiderstehlicher Anmut. Es gibt Physiognomien, die beim ersten Anblick einnehmen, weil sie den Stempel der Güte und Unschuld tragen; mit einer solchen hatte die Natur in einer ihrer liebevollsten Launen die Bewohnerin dieses Hauses beschenkt, und ich betrachtete sie einige Momente mit Wohlgefallen und Antheil, ehe ich sie anredete. Sie schien mir eine holde Blume, an deren Innern aber ein Wurm nagt, der ihre Schönheit früher zu entblättern droht, als die Hand der Zeit, die sie kaum vollendete. Die Ruhe ihres Blicks war so innig mit jener rührenden Schwermut verschmolzen, die ein langer, tiefer Gram erzeugt, und über alle ihre regelmäßigen Züge hatte ein so entschiedener Kummer seinen Schleier ausgebreitet, dass ich keinen Augenblick anstehen konnte, in ihrem Herzen eine noch ernstere Trauer zu vermuten, als ihr Gesicht verriet. Ihr häuslicher Anzug bezeichnete jene goldene Mittelmäßigkeit des Standes, die in ihren engen Grenzen oft das reinste Glück des Lebens umschließt. Er war eben so weit von unsauberer Nachlässigkeit als von all zu zierlicher Eitelkeit entfernt, und stellte leicht und ungezwungen ihre schlanke reizende Gestalt in all' der Anmut dar, die sie schmückte.

Das herannahende Gewitter nötigt mich, sagt' ich zu ihr, Zuflucht in Ihrem Hause zu suchen. Darf ich wohl einige Stunden hier verweilen, bis es vorüber gezogen ist?

Recht gern, versetzte sie. Zwar ist meine Familie so groß, dass wir kaum für uns selbst Raum haben - aber es wäre unfreundlich, eine Reisende, und überdies eine Dame, bei diesem stürmischen Wetter abzuweisen. Sie nötigte mich nun, ins Zimmer zu treten, und ging hinaus, um für meine Leute und Pferde ebenfalls Anstalten zum Unterkommen zu treffen. Die Wohnstube, in der ich mich jetzt umsah, war nur klein, aber durch die gleichsam mechanische Ordnung, nach welcher jede Sache ihren angemessenen Platz hatte, schien sie mir geräumig genug, und rechtfertigte die vorteilhafte Idee, die ich mir schon beim Eintritt in das Haus von der Reinlichkeit der Besitzer desselben gemacht hatte. Ich setzte mich in einen hölzernen Stuhl - nach einer kleinen Weile kam meine artige Wirtin wieder herein, und führte mit mütterlicher Sorgfalt und Zärtlichkeit die beiden Kinder, die ich vorhin hatte spielen sehn.

Die arglosen, lieben Geschöpfe! sagte sie, indem ihr Blick voll Innigkeit auf ihnen ruhte - sie lächeln dem Blitz eben so fröhlich entgegen, wie der Sonne, unbekümmert, ob die nächste Minute sie tötet, weil ihre beneidenswerte Unwissenheit selbst den Gefahren, die ihnen drohen, eine lachende Farbe gibt. Ach das sind doch die glücklichsten Jahre des menschlichen Lebens!
- Der Seufzer, der diese letzten Worte begleitete, fand sein Echo in meinem Busen.
- Sind das Ihre Kinder? - frug ich, da ich den schwermütigen Gedanken nicht nachhängen wollte, die ihre Anmerkung in mir erweckt hatte.
- Nein, antwortete sie, und eine feine Rote überzog ihr blasses Gesicht. Sie gehören meiner Schwester, die mit ihrem Mann und ihren übrigen Kleinen heut in die benachbarte Stadt zum Jahrmarkt gefahren ist. Ich bin unverheiratet.