Mit ähnlichem Getöse, als wenn in Wäldern gewaltsame Sturmstöße das Pfeifen des Windes durchbrechen, rollt die Untergrundbahn ihrem Endziel zu. Wie eine längliche schwarze Perle schlängelt sie sich durch den Tunnel, um in der Station dann einer großen leuchtenden Perle zu gleichen. Strahlend und atemlos hält sie inne. In die aquariumartigen Glashallen fallen schwere und dunkle Gegenstände nieder, andere leichtere gleiten und heben sich in den Labyrinthen der Stiegen und Gänge, als bewegte sie die Abendluft, die um den Rachen des Tunnels flattert. Das Aus und Ein genau scheidend, klappt jede der Falltüren wie das Holzmesser eines Bäckers unerbittlich und unaufhörlich auf und ab.
Es ist in einem der letzten Züge, zu später Stunde an irgendeinem Werktag.
In einem der Waggons befindet sich ein einziger Fahrgast, ein junger Mann, der, in eine Ecke geschmiegt, vor sich hinsinnt. Tagsüber hat es reichlich geregnet. Noch haften an den Fensterscheiben Tropfen und Rinnsal des Regens, der den Zug auf den Boulevards, dort wo er aus der Erde hervorkam, ansprühte. Die Schmutzspuren eines ganzen Tages bedecken den Fußboden.
Der junge Mann verfolgt die Entwicklung einer Gedankenreihe, die sich in ihm zu regen begonnen, kaum daß er Platz genommen hatte. In seinen Gliedern drückt die Müdigkeit eines langen Tages, an dem er viel gegangen ist und viel gesprochen hat; jedoch die nie aussetzende Lebendigkeit seines Geistes läßt ihn den Körper und seine Abspannung vergessen. Er hebt kaum den Kopf in den Stationen, die wie Illustrationen einer Lektüre sind, zu denen etwa das Hineilen im Tunnel der Text wäre.
Ein dumpfer dicker Geruch schwelt in den Waggons, die den ganzen Tag über mit Menschenmassen vollgepackt waren.
Stunde und Ort flößen Ekel ein und stimmen traurig. Der junge Mann aber, ganz hinter seine Gedanken verschanzt, gibt aus sich fast nichts an diese augenblickliche Umgebung. Er sieht weder die Orangenschalen und zweifelhaften Papiere unter den Bänken, noch die Fingerspuren auf den Scheiben. Er bemerkt weder das plötzliche Aufblinken der elektrischen Lampen auf den angebröckelten Wölbungen des Tunnels, noch den Namen der Stationen, die der Zug eben verläßt. Halb unbewußt hören seine Ohren das Zufallen einer Tür. Leise wird sein Auge von der Vision einer nahenden Frau berührt, die sich nun setzt, vielmehr ihm gegenüber auf einen Platz sich hinsinken läßt. Er besieht das neue Bild und kehrt zu den Gedanken zurück, die ihn beschäftigen. Doch wie der Schwimmer, aus dem Wasser tauchend, die Barke, die er ergreift, unter seinem Gewicht herabdrückt, hängt sich eine lebendige Kraft, aus namenloser Stunde und verworrenen Lauten geboren, an den Rand seiner Gedanken.
Er macht den Versuch, sich zu befreien, aber das fremde Wesen, das sich plötzlich neben ihm aufhob, dringt gewaltsam mit seiner ganzen Gegenwart auf ihn ein. Er muß den Kopf wenden. Da überrascht sein Blick den der Fremden, der auf ihn gerichtet ist.
Der junge Mann sah anfangs nur zwei große sanfte Augen in einem ovalen Gesicht, das von jener Blässe war, die er liebt. Mit Aufmerksamkeit und Vergnügen prüft er dies feine Antlitz. Sein Blick begegnet nun oft dem der jungen Frau, der nicht ausgesprochen gleichgültig bleibt. Es gelingt ihr nicht, völlig unbeteiligt zu sein. Schon wird der Austausch ihrer Blicke lebendiger. Frage und Antwort richten die beiden aneinander, halten Zwiegespräche, von denen der Körper nichts weiß. Der junge Mann, der bald das aussichtslose Vergnügen dieses Spieles erschöpft hat, überläßt seinen schweifenden Geist anderen Träumereien. Seine Gedanken gleichen einem Wolkenhimmel, er ist der Wanderer auf einer Straße und betrachtet mit zerstreutem Blick das Wechselspiel der Wolken. Da aber breitet sich weißer Schimmer, ja Helle, über den farblosen Himmel. In den Körper des jungen Menschen kommt Bewegung, er regt seine Hände, sein Gesicht verrät plötzlich innere Aufwallung. Alles, was an tätigem Leben in ihm schlummerte, kocht auf in ihm, steigt unaufhaltsam an, überschwemmt seinen Geist, der, gleichsam gelüpft, seine Gedanken nun wie Blasen entflattern läßt. Mit einem Male hat er das Bewußtsein seiner Existenz. Er denkt: diese Minute bin ich, sie ist mein Leben, sie steht am Ende einer Ausdehnung, die all dies Leben ist, das ich schon gelebt. Ich habe mich lange fortgesetzt, ich habe Monate, Jahre gedauert, um diese Minute zu erreichen. Diese Lampen, über meinem Haupte aufgereiht, wie Fackeln einer Ehrenwache, diese dicken Mauern, wie eine Menschenmenge, die den Durchzug eines Helden erwartet, lange warten sie, auf daß ich ihnen eines Tages begegne. Diese Helle, diese metallischen Reflexe erwarteten schließlich mich nach so vielen Menschen und immer wieder nach so vielen anderen. Minuten, ja ihr, erfüllt von mir, äußere Umkleidung, die du mir Gestalt verleihst, Bewegung ohne Ende, ihr seid mein Leben! Mit meinen Augen, mit meinem Geist besitze ich euch! Oh, nie geschlossene Zeit, in dieser weit aufgetanen Minute biege ich meine Seele vor, meinen Körper spreite ich aus und stürze mich vor das Gewirre der Geräusche, dem Durcheinander von Schatten und Licht, wie Eroberer tun, an der Spitze ihrer Horden.
Dem Hineilen des Zuges entlehne ich den wilden Taumel einer im Galopp bergabwärts stürmenden Armee. Gedrängte Reiterei jagt singend hinter mir. Wäre ich allein hier, ich glaube, ich würde meine Arme ausstrecken und laut aus mir herausschreien.
Als seine Augen die junge Frau ihm gegenüber wiederfanden, war sie ihm keine Fremde mehr.
Er betrachtet sie. Dem reizenden Gesicht mit den weit ausblickenden Augen legt er ein Bild zu, das seinem Geist schon eigen ist. Er ruft sich einen Komplex von Erinnerungen wach und stellt sie einer einzigen Erscheinung gegenüber. Bei fortgesetzter Prüfung entdeckt er neue Einzelheiten und verbessert sein erstes Urteil. (Er hätte diesen Augen nicht so viel Sanftmut zugetraut.) Gerne würde er ihre Geistesart kennen lernen, und wenn er auf dem Deckel des Buches, das sie gegen sich gewendet hält und das er belauert, den Namen eines ihm sympathischen Autors entzifferte, wäre er darüber aufrichtig erfreut.
Es ist in einem der letzten Züge, zu später Stunde an irgendeinem Werktag.
In einem der Waggons befindet sich ein einziger Fahrgast, ein junger Mann, der, in eine Ecke geschmiegt, vor sich hinsinnt. Tagsüber hat es reichlich geregnet. Noch haften an den Fensterscheiben Tropfen und Rinnsal des Regens, der den Zug auf den Boulevards, dort wo er aus der Erde hervorkam, ansprühte. Die Schmutzspuren eines ganzen Tages bedecken den Fußboden.
Der junge Mann verfolgt die Entwicklung einer Gedankenreihe, die sich in ihm zu regen begonnen, kaum daß er Platz genommen hatte. In seinen Gliedern drückt die Müdigkeit eines langen Tages, an dem er viel gegangen ist und viel gesprochen hat; jedoch die nie aussetzende Lebendigkeit seines Geistes läßt ihn den Körper und seine Abspannung vergessen. Er hebt kaum den Kopf in den Stationen, die wie Illustrationen einer Lektüre sind, zu denen etwa das Hineilen im Tunnel der Text wäre.
Ein dumpfer dicker Geruch schwelt in den Waggons, die den ganzen Tag über mit Menschenmassen vollgepackt waren.
Stunde und Ort flößen Ekel ein und stimmen traurig. Der junge Mann aber, ganz hinter seine Gedanken verschanzt, gibt aus sich fast nichts an diese augenblickliche Umgebung. Er sieht weder die Orangenschalen und zweifelhaften Papiere unter den Bänken, noch die Fingerspuren auf den Scheiben. Er bemerkt weder das plötzliche Aufblinken der elektrischen Lampen auf den angebröckelten Wölbungen des Tunnels, noch den Namen der Stationen, die der Zug eben verläßt. Halb unbewußt hören seine Ohren das Zufallen einer Tür. Leise wird sein Auge von der Vision einer nahenden Frau berührt, die sich nun setzt, vielmehr ihm gegenüber auf einen Platz sich hinsinken läßt. Er besieht das neue Bild und kehrt zu den Gedanken zurück, die ihn beschäftigen. Doch wie der Schwimmer, aus dem Wasser tauchend, die Barke, die er ergreift, unter seinem Gewicht herabdrückt, hängt sich eine lebendige Kraft, aus namenloser Stunde und verworrenen Lauten geboren, an den Rand seiner Gedanken.
Er macht den Versuch, sich zu befreien, aber das fremde Wesen, das sich plötzlich neben ihm aufhob, dringt gewaltsam mit seiner ganzen Gegenwart auf ihn ein. Er muß den Kopf wenden. Da überrascht sein Blick den der Fremden, der auf ihn gerichtet ist.
Der junge Mann sah anfangs nur zwei große sanfte Augen in einem ovalen Gesicht, das von jener Blässe war, die er liebt. Mit Aufmerksamkeit und Vergnügen prüft er dies feine Antlitz. Sein Blick begegnet nun oft dem der jungen Frau, der nicht ausgesprochen gleichgültig bleibt. Es gelingt ihr nicht, völlig unbeteiligt zu sein. Schon wird der Austausch ihrer Blicke lebendiger. Frage und Antwort richten die beiden aneinander, halten Zwiegespräche, von denen der Körper nichts weiß. Der junge Mann, der bald das aussichtslose Vergnügen dieses Spieles erschöpft hat, überläßt seinen schweifenden Geist anderen Träumereien. Seine Gedanken gleichen einem Wolkenhimmel, er ist der Wanderer auf einer Straße und betrachtet mit zerstreutem Blick das Wechselspiel der Wolken. Da aber breitet sich weißer Schimmer, ja Helle, über den farblosen Himmel. In den Körper des jungen Menschen kommt Bewegung, er regt seine Hände, sein Gesicht verrät plötzlich innere Aufwallung. Alles, was an tätigem Leben in ihm schlummerte, kocht auf in ihm, steigt unaufhaltsam an, überschwemmt seinen Geist, der, gleichsam gelüpft, seine Gedanken nun wie Blasen entflattern läßt. Mit einem Male hat er das Bewußtsein seiner Existenz. Er denkt: diese Minute bin ich, sie ist mein Leben, sie steht am Ende einer Ausdehnung, die all dies Leben ist, das ich schon gelebt. Ich habe mich lange fortgesetzt, ich habe Monate, Jahre gedauert, um diese Minute zu erreichen. Diese Lampen, über meinem Haupte aufgereiht, wie Fackeln einer Ehrenwache, diese dicken Mauern, wie eine Menschenmenge, die den Durchzug eines Helden erwartet, lange warten sie, auf daß ich ihnen eines Tages begegne. Diese Helle, diese metallischen Reflexe erwarteten schließlich mich nach so vielen Menschen und immer wieder nach so vielen anderen. Minuten, ja ihr, erfüllt von mir, äußere Umkleidung, die du mir Gestalt verleihst, Bewegung ohne Ende, ihr seid mein Leben! Mit meinen Augen, mit meinem Geist besitze ich euch! Oh, nie geschlossene Zeit, in dieser weit aufgetanen Minute biege ich meine Seele vor, meinen Körper spreite ich aus und stürze mich vor das Gewirre der Geräusche, dem Durcheinander von Schatten und Licht, wie Eroberer tun, an der Spitze ihrer Horden.
Dem Hineilen des Zuges entlehne ich den wilden Taumel einer im Galopp bergabwärts stürmenden Armee. Gedrängte Reiterei jagt singend hinter mir. Wäre ich allein hier, ich glaube, ich würde meine Arme ausstrecken und laut aus mir herausschreien.
Als seine Augen die junge Frau ihm gegenüber wiederfanden, war sie ihm keine Fremde mehr.
Er betrachtet sie. Dem reizenden Gesicht mit den weit ausblickenden Augen legt er ein Bild zu, das seinem Geist schon eigen ist. Er ruft sich einen Komplex von Erinnerungen wach und stellt sie einer einzigen Erscheinung gegenüber. Bei fortgesetzter Prüfung entdeckt er neue Einzelheiten und verbessert sein erstes Urteil. (Er hätte diesen Augen nicht so viel Sanftmut zugetraut.) Gerne würde er ihre Geistesart kennen lernen, und wenn er auf dem Deckel des Buches, das sie gegen sich gewendet hält und das er belauert, den Namen eines ihm sympathischen Autors entzifferte, wäre er darüber aufrichtig erfreut.