Es war gegen Abend, als er ankam, und er trat so ruhig in das Zimmer ein, als ob er es erst fünf Minuten vorher verlassen hätte. In seiner hochgewachsenen, breitschultrigen Gestalt mit den hellen Haaren, in seinen ruhigen und fast garnicht, höchstens in den Mundwinkeln, spöttischen Mienen, lag weder Aufregung noch Ermüdung; die lärmende Freude, mit der ihn die Mutter und Lyda empfingen, schwand wie von
selbst.
Solange er aß und trank, saß ihm seine Schwester gegenüber und schaute ihn gerade an, ohne die Blicke abwenden zu können. Sie war in ihren Bruder so verliebt, wie nur exaltierte, junge Mädchen ihre abwesenden Brüder zu lieben vermögen.
Lyda stellte sich den Bruder als einen ganz besondern Mann vor, dessen Eigenart sie sich selbst aus den Büchern zusammengeträumt hatte. In seinem Leben wollte sie einen tragischen Konflikt sehen: Kampf, - Leiden, -Einsamkeit einer gewaltigen Individualität.-
"Warum schaust du mich so grade an? fragte sie Ssanin lächelnd. Dieses interessierte Lächeln bei dem in sich vertieften Blick der Augen war der ständige Ausdruck seines Gesichts.
Und seltsam, - dieses Lächeln, an sich hübsch und sympathisch, mißfiel Lyda von Anfang an. Es kam ihr selbstgefällig vor, und es schien ihr so garnichts von Kampf und Leiden und Einsamkeit zu erzählen.
Lyda schwieg und wurde nachdenklich, und, die Augen abwendend, blätterte sie mechanisch in einem Buche.
Als das Mittagessen beendet war, streichelte die Mutter ihrem Sohne zart und sanft Haar und Stirne und fragte:
"Nun erzähle uns aber auch! Wie hast du dort gelebt, was hast du alles getan? ...
"Was ich getan habe? ... Ssanin wiederholte es lächelnd. "Na, was schon? ... Aß, trank, schlief, arbeitete auch mitunter, manchmal tat ich auch garnichts, ... so ...
Anfangs schien es ihm peinlich zu sein, von sich selbst zu sprechen, aber, als die Mutter sich sorgsam nach allem zu erkundigen begann, da kam er ins Erzählen und es machte den Eindruck, daß er gern erzähle. Und doch fühlte man heraus, daß es ihm im Grunde ganz gleichgültig war, wie sich die Andern zu seinen Reden stellten. Trotzdem er zärtlich und aufmerksam blieb, ließ sich in seinem Benehmen niemals die intime Nähe eines verwandten Menschen spüren, die von der ganzen Welt absondert, und man konnte eher glauben, daß all seine Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit von ihm so einfach und selbstverständlich ausgestrahlt wurde, wie das Licht einer Kerze. Für alle gleich!
Sie traten auf die Terrasse hinaus, die in den Garten führte, und setzten sich auf die Stufen nieder. Lyda machte es sich auf einer tieferen möglichst bequem, und lauschte ganz für sich und schweigend, dem, was der Bruder ihnen erzählte.
Ein unfaßbarer, kalter Strahl lief durch ihr Herz. Mit dem scharfen Instinkt des jungen Weibes empfand sie bereits, daß ihr Bruder nichts von ihren Phantasien in sich trug, und sie wurde dadurch unwillkürlich eingeschüchtert und befangen, wie einem Fremden gegenüber.
Es war schon Abend, und ein weicher Schatten fiel auf alles. Ssanin zündete sich eine Zigarette an; das leichte Aroma des Tabaks mischte sich mit dem duftigen, sommerlichen Hauch des Gartens.
Er begann davon zu reden, wie ihn das Leben hin- und hergeschleudert hatte, wie er bummelte, manchmal hungern mußte; von seiner Teilnahme am politischen Kampf und wie er sie wieder beiseite warf, als sie ihn zu langweilen anfing.
Lyda hörte gespannt zu und saß unbeweglich, schön und etwas eigenartig da, wie alle jungen Mädchen in der Frühlingsdämmerung. Immer klarer wurde ihr, daß sein Leben, welches sie sich in so feurigen Zügen ausgemalt hatte, ganz einfach und gewöhnlich war.
Zwar ... irgend etwas Besonderes klang noch daraus hervor, doch das, was es sein mochte, konnte Lyda nicht erfassen. Im übrigen aber blieb es unwichtig und gleichgültig, ja, wie es ihr vorkam, sogar banal. Er wohnte, wo es grad der Zufall mit sich brachte, tat, was ihm in die Hände fiel, arbeitete bald, bald bummelte er, alles scheinbar ohne Ziel; nur trank er mit Vorliebe und kannte gut die Frauen. Hinter diesem Leben lauerte nicht das schwere und düstere Schicksal, welches die träumerische Mädchenseele Lydas zu sehen wünschte. In ihm herrschte keine allumfassende Idee; er haßte niemanden und litt auch um keines Menschen willen.
Im Gespräch drängten sich Worte in seine Rede, die Lyda aus irgendeinem Grunde unschön fand.
"Kannst du denn auch nähen? ... unterbrach sie ihn einmal unwillkürlich mit verletzendem Erstaunen; das schien ihr häßlich und unmännlich.
"Früher hatte ich gewiß keine Ahnung davon, aber als es sein mußte, gut, da lernte ich's eben, antwortete Ssanin mit seinem Lächeln; er empfand, was in Lyda vorging.
Das Mädchen zuckte, ein wenig unbeholfen, mit den Achseln, schwieg aber; sie starrte tief in den Garten, mit dem Gefühl, wie wenn man des Morgens voller Träume an die Sonne erwacht und plötzlich den Himmel grau und kalt erblickt.
Auch die Mutter ergriff eine drückende, lästige Bangigkeit. Es berührte sie schmerzlich, daß ihr Sohn nichts dazu tat, um in der Gesellschaft die Stellung einzunehmen, die sich für ihn gebührt hätte. So begann sie, darüber zu reden, daß man auf solche Weise nicht weiter fort leben könne und daß man wenigstens jetzt versuchen müsse, sich anständig einzurichten. Zuerst sprach sie behutsam, noch in Furcht, den Sohn zu verletzen; aber sobald sie bemerkte, daß er nur oberflächlich hinhörte, wurde sie ungeduldig und fing an, mit dem stumpfen Verdruß einer Greisin auf ihn einzureden, als ob er sie absichtlich gereizt hätte.
selbst.
Solange er aß und trank, saß ihm seine Schwester gegenüber und schaute ihn gerade an, ohne die Blicke abwenden zu können. Sie war in ihren Bruder so verliebt, wie nur exaltierte, junge Mädchen ihre abwesenden Brüder zu lieben vermögen.
Lyda stellte sich den Bruder als einen ganz besondern Mann vor, dessen Eigenart sie sich selbst aus den Büchern zusammengeträumt hatte. In seinem Leben wollte sie einen tragischen Konflikt sehen: Kampf, - Leiden, -Einsamkeit einer gewaltigen Individualität.-
"Warum schaust du mich so grade an? fragte sie Ssanin lächelnd. Dieses interessierte Lächeln bei dem in sich vertieften Blick der Augen war der ständige Ausdruck seines Gesichts.
Und seltsam, - dieses Lächeln, an sich hübsch und sympathisch, mißfiel Lyda von Anfang an. Es kam ihr selbstgefällig vor, und es schien ihr so garnichts von Kampf und Leiden und Einsamkeit zu erzählen.
Lyda schwieg und wurde nachdenklich, und, die Augen abwendend, blätterte sie mechanisch in einem Buche.
Als das Mittagessen beendet war, streichelte die Mutter ihrem Sohne zart und sanft Haar und Stirne und fragte:
"Nun erzähle uns aber auch! Wie hast du dort gelebt, was hast du alles getan? ...
"Was ich getan habe? ... Ssanin wiederholte es lächelnd. "Na, was schon? ... Aß, trank, schlief, arbeitete auch mitunter, manchmal tat ich auch garnichts, ... so ...
Anfangs schien es ihm peinlich zu sein, von sich selbst zu sprechen, aber, als die Mutter sich sorgsam nach allem zu erkundigen begann, da kam er ins Erzählen und es machte den Eindruck, daß er gern erzähle. Und doch fühlte man heraus, daß es ihm im Grunde ganz gleichgültig war, wie sich die Andern zu seinen Reden stellten. Trotzdem er zärtlich und aufmerksam blieb, ließ sich in seinem Benehmen niemals die intime Nähe eines verwandten Menschen spüren, die von der ganzen Welt absondert, und man konnte eher glauben, daß all seine Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit von ihm so einfach und selbstverständlich ausgestrahlt wurde, wie das Licht einer Kerze. Für alle gleich!
Sie traten auf die Terrasse hinaus, die in den Garten führte, und setzten sich auf die Stufen nieder. Lyda machte es sich auf einer tieferen möglichst bequem, und lauschte ganz für sich und schweigend, dem, was der Bruder ihnen erzählte.
Ein unfaßbarer, kalter Strahl lief durch ihr Herz. Mit dem scharfen Instinkt des jungen Weibes empfand sie bereits, daß ihr Bruder nichts von ihren Phantasien in sich trug, und sie wurde dadurch unwillkürlich eingeschüchtert und befangen, wie einem Fremden gegenüber.
Es war schon Abend, und ein weicher Schatten fiel auf alles. Ssanin zündete sich eine Zigarette an; das leichte Aroma des Tabaks mischte sich mit dem duftigen, sommerlichen Hauch des Gartens.
Er begann davon zu reden, wie ihn das Leben hin- und hergeschleudert hatte, wie er bummelte, manchmal hungern mußte; von seiner Teilnahme am politischen Kampf und wie er sie wieder beiseite warf, als sie ihn zu langweilen anfing.
Lyda hörte gespannt zu und saß unbeweglich, schön und etwas eigenartig da, wie alle jungen Mädchen in der Frühlingsdämmerung. Immer klarer wurde ihr, daß sein Leben, welches sie sich in so feurigen Zügen ausgemalt hatte, ganz einfach und gewöhnlich war.
Zwar ... irgend etwas Besonderes klang noch daraus hervor, doch das, was es sein mochte, konnte Lyda nicht erfassen. Im übrigen aber blieb es unwichtig und gleichgültig, ja, wie es ihr vorkam, sogar banal. Er wohnte, wo es grad der Zufall mit sich brachte, tat, was ihm in die Hände fiel, arbeitete bald, bald bummelte er, alles scheinbar ohne Ziel; nur trank er mit Vorliebe und kannte gut die Frauen. Hinter diesem Leben lauerte nicht das schwere und düstere Schicksal, welches die träumerische Mädchenseele Lydas zu sehen wünschte. In ihm herrschte keine allumfassende Idee; er haßte niemanden und litt auch um keines Menschen willen.
Im Gespräch drängten sich Worte in seine Rede, die Lyda aus irgendeinem Grunde unschön fand.
"Kannst du denn auch nähen? ... unterbrach sie ihn einmal unwillkürlich mit verletzendem Erstaunen; das schien ihr häßlich und unmännlich.
"Früher hatte ich gewiß keine Ahnung davon, aber als es sein mußte, gut, da lernte ich's eben, antwortete Ssanin mit seinem Lächeln; er empfand, was in Lyda vorging.
Das Mädchen zuckte, ein wenig unbeholfen, mit den Achseln, schwieg aber; sie starrte tief in den Garten, mit dem Gefühl, wie wenn man des Morgens voller Träume an die Sonne erwacht und plötzlich den Himmel grau und kalt erblickt.
Auch die Mutter ergriff eine drückende, lästige Bangigkeit. Es berührte sie schmerzlich, daß ihr Sohn nichts dazu tat, um in der Gesellschaft die Stellung einzunehmen, die sich für ihn gebührt hätte. So begann sie, darüber zu reden, daß man auf solche Weise nicht weiter fort leben könne und daß man wenigstens jetzt versuchen müsse, sich anständig einzurichten. Zuerst sprach sie behutsam, noch in Furcht, den Sohn zu verletzen; aber sobald sie bemerkte, daß er nur oberflächlich hinhörte, wurde sie ungeduldig und fing an, mit dem stumpfen Verdruß einer Greisin auf ihn einzureden, als ob er sie absichtlich gereizt hätte.