Alle epische Dichtung, das Versepos wie der Roman, setzt sich als höchstes Ziel, ihr ganzes Volk in ihrer Zeit darzustellen, in seinen religiösen, sittlichen, geistigen und wirtschaftlichen Grundformen. Aber die Urzeit der Völker, da diese Formen in ungeschiedener Einheit das ganze Volk umfassen, hat selten ein Volk zum Bewußtsein und zur epischen Gestaltung seiner selbst gelangen lassen. Erst nachdem sich aus der Einheit und Einfachheit des ganzen Volkes einzelne Stände herausgehoben und gesondert ihre Anlagen und Lebensformen entwickelt haben, sind die großen Epen entstanden. Die Ilias wie die Nibelungen stellen die Lebensformen einer ritterlichen Gesellschaft dar. Und wenn de ständischen Volksgruppen sich kulturell und dichterisch entwickelt haben, meist nacheinander, so bleiben sie in der epischen Dichtung ihres Landes nebeneinander bestehen: fast alle großen neueren Romane gestalten die Lebensformen eines bedeutenden Standes; so zerfällt der Volksroman in den Ritter- oder Adelsroman, den Bürgerroman, den Bauernroman, den Arbeiterroman. Die jeweilige schöpferische Bedeutung dieser Stände entscheidet zumeist auch über die Bedeutung ihrer Romane. Sind ihre Lebensformen, ihre religiösen, sittlichen, geistigen, wirtschaftlichen Grundkräfte gesund, klar, einig und schöpferisch, so drängen sie auch nach ihrem schöpferischen Ausdruck, so geben sie einem wesensverbundenen Epiker die innere Form zu einem epischen Gesellschafts- und Volksbild, das sich in breitem Nach- und Nebeneinander, in plastischer Gestaltenfülle, in farbiger Sinnlichkeit und Sichtbarkeit, in liebevoller Bejahung des Lebens entfaltet.
In Deutschland ist dies Wesen und Werden der epischen Dichtung von fremden Kräften durchkreuzt. Seine ritterliche Kultur hat zwar in Gottfried von Straßburgs "Tristan" und in Wolfram von Eschenbachs "Parzival" vollen epischen Ausdruck gefunden. Aber schon im "Parzival", dem eigentlich deutschen der beiden Gedichte, bricht jene deutsche Eigenheit durch, die dem epischen Lebensgefühl widerspricht: die deutsche Art schlägt das Auge eher nach innen denn nach außen auf, ist mehr metaphysisch als physisch, mehr musikalisch als plastisch, sie weiß mehr von der inneren Einsamkeit der Persönlichkeit als von der Gemeinsamkeit des Standes, Volkes und Staates, mehr von Kampf und Tragik als von Frieden und Daseinsfreude. Schon die Nibelungen sind im Grunde eine Tragödie, der grauenvolle Untergang eines ganzen Volkes. Ein unendliches Wehklagen ist ihr Schluß und die düstere Erkenntnis, "daß alle Freude immer zuletzt in Leid sich kehrt". Und der erste der großen deutschen Prosaromane, Grimmelshausens "Simplizissimus", schildert die irrende deutsche Seele, die aus Mord und Getümmel des Dreißigjährigen Krieges auf eine einsame Insel, an das Herz ihres Gottes flüchtet. Die Entwicklung und Vollendung der Seele wird zum Inhalt des deutschen Romans, nicht die Darstellung des äußeren Lebens, der Gesellschaft, des Volkes, der Kriege und Siege. Die großen deutschen Epen und Romane sind Entwicklungsromane: "Parzival", "Simplizissimus", "Wilhelm Meister", "Der grüne Heinrich".
Diese deutsche Wesensart ist durch die Geschichte Deutschlands bedeutsam verstärkt worden - wobei vielleicht auch hier "Schicksal und Gemüt Namen e i n e s Begriffes sind" (Novalis). Während die romanische und angelsächsische Welt mit der Renaissance sich der Bewunderung, Erforschung und Eroberung der Natur zuwandte, verlor sich Deutschland in die metaphysischen Tiefen und Konflikte der Reformation, bis daß es in einem dreißigjährigen Religionskriege fast zugrunde ging. Aber während es politisch und wirtschaftlich so auf lange daniederlag, hob es sich philosophisch und künstlerisch zu seiner größten Bedeutung. Zum epischen Ausdruck dieser inneren Welt und Wesenheit wird der Roman der deutschen Romantik (Hölderlin, Novalis, Jean Paul. Eichendorf, E. T. A. Hoffmann), der durchaus musikalisch-metaphysisch bestimmt ist, aus der Welt der Gestalten in die "unendliche Melodie" hinüberdrängt.
In Deutschland ist dies Wesen und Werden der epischen Dichtung von fremden Kräften durchkreuzt. Seine ritterliche Kultur hat zwar in Gottfried von Straßburgs "Tristan" und in Wolfram von Eschenbachs "Parzival" vollen epischen Ausdruck gefunden. Aber schon im "Parzival", dem eigentlich deutschen der beiden Gedichte, bricht jene deutsche Eigenheit durch, die dem epischen Lebensgefühl widerspricht: die deutsche Art schlägt das Auge eher nach innen denn nach außen auf, ist mehr metaphysisch als physisch, mehr musikalisch als plastisch, sie weiß mehr von der inneren Einsamkeit der Persönlichkeit als von der Gemeinsamkeit des Standes, Volkes und Staates, mehr von Kampf und Tragik als von Frieden und Daseinsfreude. Schon die Nibelungen sind im Grunde eine Tragödie, der grauenvolle Untergang eines ganzen Volkes. Ein unendliches Wehklagen ist ihr Schluß und die düstere Erkenntnis, "daß alle Freude immer zuletzt in Leid sich kehrt". Und der erste der großen deutschen Prosaromane, Grimmelshausens "Simplizissimus", schildert die irrende deutsche Seele, die aus Mord und Getümmel des Dreißigjährigen Krieges auf eine einsame Insel, an das Herz ihres Gottes flüchtet. Die Entwicklung und Vollendung der Seele wird zum Inhalt des deutschen Romans, nicht die Darstellung des äußeren Lebens, der Gesellschaft, des Volkes, der Kriege und Siege. Die großen deutschen Epen und Romane sind Entwicklungsromane: "Parzival", "Simplizissimus", "Wilhelm Meister", "Der grüne Heinrich".
Diese deutsche Wesensart ist durch die Geschichte Deutschlands bedeutsam verstärkt worden - wobei vielleicht auch hier "Schicksal und Gemüt Namen e i n e s Begriffes sind" (Novalis). Während die romanische und angelsächsische Welt mit der Renaissance sich der Bewunderung, Erforschung und Eroberung der Natur zuwandte, verlor sich Deutschland in die metaphysischen Tiefen und Konflikte der Reformation, bis daß es in einem dreißigjährigen Religionskriege fast zugrunde ging. Aber während es politisch und wirtschaftlich so auf lange daniederlag, hob es sich philosophisch und künstlerisch zu seiner größten Bedeutung. Zum epischen Ausdruck dieser inneren Welt und Wesenheit wird der Roman der deutschen Romantik (Hölderlin, Novalis, Jean Paul. Eichendorf, E. T. A. Hoffmann), der durchaus musikalisch-metaphysisch bestimmt ist, aus der Welt der Gestalten in die "unendliche Melodie" hinüberdrängt.