Text - "Der Rangierbahnhof" Helene Böhlau

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Die unabsehbaren Schneemassen, die festgewurzelte Kälte, die eisige Dämmerung, all' diese kalten lebensfeindlichen Mächte umgeben das warme Nest mit solch unheimlicher Gewalt, als gelte es, diesen Unterschlupf von allerlei pulsierendem Leben aufzusaugen, jeden Tropfen, der sich dort birgt, zu erstarren. Alles aber, was sich auf dem dämmerigen Hof regt, atmet einen Überfluß von Wärme und Leben.

Aus den eisüberzogenen Stallfenstern fällt der rotgelbe Schein der Laternen, bei deren Licht schon seit Stunden in den Ställen und draußen auf dem zertretenen, strohuntermischten Schnee hantiert wird.

Wird eine Tür geöffnet, so quillt warmer Dampf in die Kälte hinaus und mit ihm die Brummchöre des Viehs.

Auf der Miststatt dampft es. Die Pfosten, welche das Erzeugnis des ansehnlichen Rohrmooser Viehstandes umgeben, sind durch diese warmen Dämpfe, die die großen Schneehauben auf ihnen tauen ließen, mit fußdicken bräunlichen Eiskrusten überzogen, die in sonderbaren Zapfen herunterhängen. Aus der großen Futterscheune duftet es nach gut eingebrachtem Heu und der Geruch kräftiger Sommertage strömt in den starren Wintermorgen hinaus. Die Mägde und Knechte laufen über den Hof, blasen in die Hände und strömen auch warmen Dunst und Dampf aus, der sich ihnen als weißer Reif an Haar und Mütze festsetzt.

Alles was lebt, dampft auf Rohrmoos; die Pferde, die ein Knecht anschirrt, blasen ganze Wolken aus ihren Nüstern, hüllen sich damit gegenseitig ein, so daß ihnen Mähnen, Köpfe und Leiber wie in wogendem Nebel stecken.

An den großen, verdeckten Milchgefäßen, die aus den Ställen in die Molkerei geschafft werden, dampft das feuchtwarme Holz; jeder feuchte Strohhalm, der von den Knechten und Mägden aus den Ställen hinaus in den Schnee verschleppt wird, läßt ein Weilchen eine zierlich sich ringelnde Dunstsäule wie ein kleines Opfer emporsteigen.

Alles lebt der großen meilenweiten Schneewucht zum Trotz doppelt mächtig.

In der einfachen Stube des Wohnhauses sitzen vier Personen bei der Lampe, deren Schein jetzt schon von der Tagesdämmerung geschwächt wird, die weißbläulich zu den breiten Fenstern des Zimmers eindringt.

Schinken, Eier, frische Butter, Schwarzbrot und eine summende, brodelnde Kaffeemaschine stehen auf dem weißgedeckten Frühstückstisch und vier Personen sitzen daran. Ludwig Gastelmeier, einst Pächter, jetzt Besitzer von Rohrmoos, schaut nachdenklich vor sich hin, während er mit einem Fidibus die Pfeife anzündet.

Er ist ein gedrungener Mann, der in einer mächtigen braungehäckelten Weste steckt. Man denkt unwillkürlich bei seinem Anblick an allerlei Strapazen und Hantierungen, wie sie zu landwirtschaftlichem Betriebe gehören.

Sein Sohn Friedrich, der neben der Mutter und einem jungen, blonden Frauenzimmer sitzt, gleicht ihm. Er ist einen guten Kopf kleiner als der Vater, doch auch breit, gedrungen gebaut. Die Augen sind die Augen des Alten, nur hat sich eine fleischigere Nase zwischen dieselben geschoben, so daß sie nicht so nah zu einander haben rücken können, wie die des Vaters.

Der Mund hat dieselbe feuchte Frische, die auf den Lippen des Alten liegt, und die dem Gesicht ein merkwürdig lebensvolles Ansehen giebt.

Niemand spricht etwas Zusammenhängendes. Ein Räuspern, eine kurze Frage, eine kurze Antwort, das Einschenken des Kaffees in die großen, weiten Tassen unterbricht die Stille.

Der Sohn ist offenbar im Reiseanzug.

Sein Pelz hängt an der Wand zwischen einer Auswahl stark angerauchter Pfeifen, zwischen Bastbündeln, Hirschgeweihen, Leinwandsäckchen mit Sämereien, was alles im behaglichen Durcheinander sich darstellt.