Text - "Die Schwägerinnen" Henriette Hanke

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Wir versetzen unsere Leser bei dem Anbeginn dieser Geschichte in ein weites Gemach des aufgehobenen Stiftes der Cisterzienserinnen zu Sankt Capella, nahe dem Städtchen Leidthal. Dieses Zimmer, viel zu kolossal in seinen Verhältnissen, um wohnlich zu sein, bietet eine himmlische Aussicht dar und zeigt noch die Spuren klösterlicher Pracht. Seltsam vereint werden hier die religiösen Begriffe aller Zeiten anschaulich; doch mit gemischtem Gefühl sieht man: die Gegenwart herrscht vor. An dem Plafond rollt der feurige Wagen des Elias. Wie zu vielen tausend Malen mochten seit dieser Himmelfahrt die Sonnenrosse ihren Lauf vollendet haben! Aber jene Flammen sind erloschen, und der Prophet erscheint nur noch als ein grauer Schattenriss seiner Zeit. Szenen des römischen Kultus geben den leeren Wänden ein sinnvolles Interesse, und über erblaßten Martern der eifrigsten Bekenner ihres Glaubens hängt Doktor Martin Luthers Bildnis gloriös in einem Rahmen von echter Bronze. Die erhabene Arbeit über dem Kamin von schwarzem Marmor versinnlicht ein Autodafé, und die darunter lodernde Glut, welche die Jahreszeit und der Raum des Zimmers erfordert, dient dazu, dieses Relief zu beleuchten, mit einem Schauer für die Phantasie, der fast die Wohltat der empfundenen Wärme vernichtet. Die Möbel sind teils veraltet und doch pompös, teils von neuer Brauchbarkeit und Simplicität. Das hochlehnige Kanapee, welches gradauf strebend und in der Mitte altarförmig zugespitzt, sich gegen die Wellenlinien einer modernen Bergère etwa verhält, wie die feierliche Anständigkeit der Etikette zu der nachlässigen Ruhe der Schönheit – nimmt sich in dem überladenen Zierrat geflügelter Kinderköpfe sogar kirchlich aus. Über den Häuptern der Cherubim prangt der Erzengel Michael in goldenen Waffen, und der zerrissene Samt auf dem Sitz dieser kleinen Engelsburg erinnert mit leiser Beziehung in der Farbe verblühter Veilchen an den Purpur der Eminenz. – Der venezianische Spiegel erreicht seine ungemeine Breite und Höhe durch eine Einfassung von Tritonen und Delphinen, welche in kunstreichen Verschlingungen um die glänzende Fläche spielen, worin mancher geistliche Vollmond aufgegangen war. – Oben thronen die Meergötter ersten Ranges, und im Frontispiz – so zu sagen – steigt Anadyomene aus der klaren Masse an den silbernen Bord. Das Auge des Reformators, gerade auf diesen Punkt gerichtet, scheint finster an dem heidnischen Unwesen zu haften, indes ein kaum merklicher Zug frommer Ironie den Ernst des Mundes mildert, der wohl stärkere Pfeiler erschütterte als den, der die reizende Gestalt der Liebe in den Mauern der Entsagung trägt. Die Morgensonne des 11. Novembers ging eben auf und bestrahlte mit blendendem Licht die Abtei, welche ihren majestätischen Schatten über die öden Felder ausbreitete. Der Reif der kalten Nacht schimmerte wie Kandis an den falben Resten der Weide, und die herbe Miene des heiligen Bernhard von Clairvaux, dessen Statue am Rande einer dunklen Zisterne stand und tiefsinnig hinabschaute, war wie mit Zucker bestreut. – An einem Fenster des beschriebenen Zimmers saß eine Frau, von der wir sagen müssen, dass sie über die Jugend hinaus und weit entfernt von jener gefälligen Anmut sei, die unter keinem Gesetz der Zeit steht, ohne sie deshalb dem achtsamen Interesse unserer Leser entrücken zu wollen. Der häusliche Anzug, beinahe matronenhaft bescheiden, passte den Formen einer Figur nett an, die in ihrer Haltung Charakter verriet. Das Häubchen, ohne die mindeste Genialität dieses Putzartikels, der einen guten weiblichen Kopf seltener beschattet, als in das vorteilhafteste Licht setzt, und sich oft in dem kleinsten Kniff sichtbar macht – schloss sich dicht an ein Oval von regelmäßigem Schnitt. Die Beschäftigung dieser Frau schien mit der bewussten Strenge, welche sich in ihrem Äußeren offenbarte, in keiner Verbindung zu stehen. Sie wand eine Girlande von Immortellen, die aufgehäuft in einem flachen Körbchen, in bunter Menge und Mannigfaltigkeit zur Auswahl vor ihr lagen. Sie schien so ganz in sich und in diese feierliche Früharbeit versenkt zu sein, dass selbst der Sinn des Gehörs ihre Seele nicht auf das lenkte, was ein junges Mädchen an ihrer Seite aus der Bibel vorlas. "Wirst Du dafür die Schmerzen eines Betrübten haben – ": diese verkündenden Worte des Jesaja sprach die klare, süße Stimme mit einem schüchternen Beben der Ahnung und hielt inne. Die Sonne blitzte herein und warf lange herbstliche Strahlen durch die Scheiben. Der blonde Scheitel des Mädchens erglänzte, die metallene Brüstung am Fenster funkelte wie gediegenes Gold, und die trockenen Blümchen der Dauer badeten sich in diesem ewigen Glanz.

Das Mädchen erhob das Auge, blau und tief wie der Himmel, um einen Blick in die Perspektive zu richten, welche in der schönsten Morgenbeleuchtung im melancholischen Reiz der sterbenden Natur sich in das Unabsehliche verlor; und der Mund, auf dem noch die traurige Voraussagung des israelitischen Sehers schwebte, lächelte so entzückt, als sähe dieser Blick in eine verklärte Welt.

Da öffnete sich die Tür, und ein feines jugendliches Gesicht, dem ein schlanker Körper folgte, schaute mit hellen braunen Augen herein. Ein leichtes Erschrecken bei dem Hinblick auf die schweigsame Gruppe am Fenster, und die spöttische Unlust, an dieser stillen Betrachtung und an dem Winden toter Kränze teilzunehmen, sprach sich in diesen beweglichen Zügen aus.