Text - "Der Weihnachtsabend" Christoph von Schmid

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An dem heiligen Abende vor dem Weihnachtsfeste wanderte der arme Anton, ein holder Knabe von acht Jahren, noch durch die schneebedeckte Gegend hin. Der arme Kleine hatte seine blonden Locken, die von der Kälte angeduftet waren, noch mit dem leichten schwarzen Strohhute vom letzten Sommer her bedeckt, und seine beyden Wangen glühten hochroth von Frost. Er war nach Soldatenart gekleidet und hatte eine niedliche scharlachrothe Husarenjacke an. In der Rechten führte er einen dicken Stecken von Schlehdorn, und auf dem Rücken trug er ein kleines Reisebündelein, in dem sich all sein Hab' und Gut befand. Er war aber fröhlich und guter Dinge, und hatte an der schönen weißen Winterlandschaft umher und an den bereiften Hecken und Gesträuchen am Wege seine herzliche Freude. Indeß ging die Sonne gluthroth unter. Die angedufteten Halme und Zweige umher flimmerten wie mit röthlichen Fünklein bestreut und die Gipfel des nahen Tannenwaldes strahlten im Abendgolde.

Anton dachte das nächste Dorf, das jenseits des Waldes lag, noch leicht zu erreichen, und ging muthig in den dicken, finstern Wald hinein. Er hoffte in dem Dorfe gute Weihnachtsfeyertage zu bekommen; denn er hatte gehört, die Bauern dort seyen sehr vermögliche und gutherzige Leute. Allein er war noch keine Viertelstunde gegangen, so kam er vom rechten Wege ab, und verirrte sich in die wildeste Gegend des rauhen, bergichten Waldes. Er mußte fast beständig durch tiefen Schnee waten, und einige Male versank er beynah in Gruben und Schluchten, die unter dem Schnee versteckt waren. Die Nacht brach ein und es erhob sich ein kalter Wind. Wolken überzogen den Himmel, und verdunkelten jedes Sternlein, das durch die schwarzen Tannenäste funkelte. Es ward sehr finster und fing aufs neue an heftig zu schneyen.

Der arme Knabe fand keine Spur mehr von einem Wege, und wußte nicht mehr wo an und wo aus. Müde von langem Umherirren vermochte er nicht mehr weiter zu gehen. Er blieb stehen, zitterte vor Frost, und fing an schmerzlich zu weinen. Er legte sein Wanderbündelein in den Schnee, kniete darneben nieder, nahm seinen Hut ab, erhob seine starren Hände zum Himmel, und bethete unter heißen Thränen: "Ach Du lieber Vater im Himmel! Ach laß mich doch nicht in diesem wilden Walde, in Nacht und Frost umkommen. Sieh, ich bin ja ein armes Waislein, und habe keinen Vater und keine Mutter mehr! Ich habe niemand mehr als Dich. Aber Du bist ja der Vater aller armen Waisen. O laß mich nicht erfrieren; erbarme dich deines armen Kindes. Es ist ja heute die Nacht, in der dein lieber Sohn zur Welt geboren wurde. Um Seiner Willen erhöre mich! Ach, laß nicht in eben der Nacht, da sich alle Welt über die Geburt des göttlichen Kindes freut, mich armen Knaben hier einsam im Walde sterben. " Er legte sein müdes Haupt auf sein kleines Bündelein, und schluchzte und weinte bitterlich!

Aber horch - da erklang es mit einem Male, seitwärts von der Höhe herab, lieblich wie Harfentöne, und ein wunderschöner Gesang erhob sich und hallte von den Felsen wieder. Dem Knaben war es nicht anders, als hörte er die heiligen Engel Gottes singen. Er stand auf, horchte und faltete die Hände. Der Wind hatte sich gelegt, und kein Lüftchen regte sich. Unaussprechlich lieblich erklang der Gesang in der tiefen nächtlichen Stille des Waldes.