Text - "Unsere Haustiere vom Standpunkte ihrer wilden Verwandten" Theodor Zell

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Durch das geöffnete Fenster schaue ich mit ein paar Knaben, die in meinem Hause wohnen und gern Näheres von unseren Haustieren wissen möchten, an einem schönen Frühlingsmorgen auf die Straße. In dem uns gegenüberliegenden Plättkeller wird die Tür geöffnet, und mit lautem Gebell stürzt sich der uns wohlbekannte Spitz Peter in das Freie. In diesem Augenblicke kommt gerade ein Radfahrer vorübergesaust. Auf drehende Räder scheint es Peter wie die meisten Hunde abgesehen zu haben, denn mit wahrer Wonne verfolgt er laut blaffend den Radler. Da dieser um die nächste Ecke biegt, so entschwindet auch Peter unsern Augen. Erst nach langer Zeit erscheint er wieder in unserm Gesichtskreis. Jetzt sehen wir ihn schnüffelnd überall am Boden umhersuchen. In der Zwischenzeit hat ein Vorübergehender ein Stück Unrat, anscheinend vollkommen verwestes Fleisch, auf die Straße geworfen. Mit Staunen sehen wir, daß Peter ausgerechnet dieses ekelhafte Zeug mit Wonne beriecht und dann zu fressen beginnt. Hunger kann ihn dazu nicht veranlassen, denn wir wissen seit Jahren, daß die beiden Schwestern, die im Plättkeller wohnen, große Tierfreundinnen sind. Sie darben es sich geradezu vom Munde ab, um es ihrem Lieblinge zuzuschanzen. Eigentlich hätten sie einen Hund zur Bewachung nicht mehr nötig, seitdem sich die eine Schwester verheiratet hat. Als aber vor zwei Jahren ihr damaliger Hund verunglückte, wurde freudig als Ersatz der damals sechs Wochen alte Peter gewählt, der ihnen als Geschenk aus ihrem Bekanntenkreise angeboten wurde.

Nach dem Fressen scheint Peter Durst zu bekommen, denn er läuft zum Brunnen, um aus der unten angebrachten Vertiefung seinen Durst zu löschen. Hierbei trinkt er nicht saugend wie ein Mensch, sondern lappt das Wasser schnell hintereinander mit der Zunge. Das lange Rennen scheint ihn ermüdet zu haben, denn er sucht sich in der Nähe des Plättkellers eine Stelle zum Hinlegen. Und zwar wählt er eine solche, wo die Sonne recht schön hinscheint. Während andere Hunde sich vor dem Hinlegen erst einige Male im Kreise herumzudrehen pflegen, können wir dieses Drehen bei Peter in diesem Falle nicht beobachten, denn er legt sich ohne große Umstände in die warme Sonne.

Wir wollen hier zunächst eine Pause machen, ehe wir das Tagewerk unseres Helden weiter schildern.

Alles das, was hier von dem Spitz erzählt worden ist, kann man alltäglich an zahlreichen Hunden beobachten, und selbst der Großstädter hat hierzu Gelegenheit, wenn er nur die Augen offen hält. So allbekannt diese Vorgänge sind, so erscheinen sie jedoch in einem ganz anderen Lichte, sobald wir uns die Frage vorlegen, weshalb der Hund so handelt.

Unser Peter hat zunächst gebellt. Warum bellt der Hund? Die Katze tut es doch nicht, ebenso denken Pferde, Kühe und andere Haustiere nicht daran.

Um das zu verstehen, müssen wir etwas ausholen.

Hunde, Katzen, Pferde, Kühe usw. sind ohne Frage Haustiere. Haustiere nennen wir solche zahme Tiere, die in einem Lande des Nutzens oder des Vergnügens halber gezüchtet werden.

Was waren nun die Haustiere früher, ehe sie der Mensch in seine Gemeinschaft aufnahm? Von unseren Tauben wissen wir mit Bestimmtheit, daß alle Taubenrassen von einer einzigen Wildtaube, der Felsentaube, abstammen, die an den Küsten des Mittelländischen Meeres heimisch ist. Ebenso haben alle Kaninchenrassen ihre Vorfahren in den Wildkaninchen, die Ziegenrassen in der Bezoarziege usw.

Hiernach ist anzunehmen, daß der Hund früher als Wildhund lebte oder aus einer Kreuzung von hundeartigen Verwandten, wahrscheinlich von Wölfen und Schakalen, entstanden ist. Näheres soll hierüber am Schlusse gesagt werden.

Jedenfalls war der Hund früher ebenfalls ein Raubtier, wie es heute noch seine Verwandten, die Wölfe, Schakale und Füchse, sind.

Wie der Mensch nun das, was seine Vorfahren getrieben haben, gewöhnlich beibehält, so tut das Tier das noch in weit stärkerem Maße. Wir essen regelmäßig nur das, was bei uns üblich ist, mögen auch benachbarte Völker andere Leckerbissen haben. So schwärmt der Italiener für kleine Singvögel, der Franzose für Froschschenkel, während sich bei uns nur wenige Liebhaber dafür finden. Das Tier hält sich noch viel strenger an den Speisezettel seiner Vorfahren. Das kommt natürlich daher, weil es durch seinen Körperbau dazu gezwungen ist. Wie häufig sind in den Kriegsjahren die Hunde mit Kartoffeln gefüttert worden. Und doch bleiben sie fast unverdaut, weil der Hund ein früheres Raubtier ist, und Kartoffeln keine passende Nahrung für ein Raubtier sind.

Also der Hund war früher ein Raubtier ähnlich wie Wolf, Schakal und Fuchs. Die Lebensweise dieser Verwandten müssen wir also kennen lernen, um unsern Hund richtig zu verstehen.

Bellen nun Wölfe und Schakale? Sie denken nicht daran. Sie heulen sich wohl, wenn die Dämmerung einbricht, zusammen, um gemeinschaftlich auf Raub auszugehen. Denn sie sind Geschöpfe, die es umgekehrt machen wie der Mensch. Sie ruhen am Tage und sind in der Nacht tätig. Selbstverständlich gibt es auch bei uns in der Nacht tätige Personen, wie Nachtwächter, Verbrecher, Bummler, aber diese kommen gegenüber der großen Menge anderer Menschen nicht weiter in Betracht.

Wie Wölfe und Schakale ist der Hund ein Raubtier. Das will sagen, daß er nicht wie die Pflanzenfresser von Gräsern, Blättern, Moos, Rinde und andern Pflanzenstoffen lebt, sondern andere Tiere zu töten sucht, um sie zu fressen. Daraus können wir ihm keinen Vorwurf machen; auch der Mensch ist kein reiner Pflanzenfresser. Das trifft höchstens bei einem kleinen Kreise von Menschen zu, während die große Menge Schweine, Rinder, Gänse und andere wohlschmeckende Tiere mästet, um sie später zu verzehren. Ueberhaupt dienen fast alle unsere Haustiere unseren eigennützigen Zwecken.

Ein Raubtier, das ein anderes Geschöpf erbeuten will, muß natürlich vorsichtig zu Werke gehen. Denn der Pflanzenfresser hat durchaus keine Lust, sein Grab im Magen des Raubtiers zu finden, sondern sucht sich auf jede Weise davor zu bewahren. Würden Wölfe, die gern einen Hasen, einen Hirsch oder ein Reh fressen möchten, schon vor Beginn der Jagd bellen, so würden sich die Pflanzenfresser vorher in Sicherheit zu bringen suchen.

So ist es denn ganz selbstverständlich, daß wilde Hundearten, wie die in Indien hausenden Kolsums, nicht bellen, ebensowenig die Wölfe und Schakale. Man hat sich darüber gewundert, daß die Hunde, die Kolumbus in Amerika zurückließ, das Bellen verlernt hatten. Als man sie nach langer Zeit wiederfand, waren sie verwildert und stumm geworden. Das ist doch ganz natürlich. Sie mußten auf eigene Faust, nachdem sie von den Menschen verlassen worden waren, ihre Nahrung suchen. Bald merkten sie, daß sie um so schwerer Beute machten, je mehr sie vorher bellten. Deshalb ließen sie das Bellen sein, wie es ihre Vorfahren getan hatten.

Das Bellen ist also eine Eigenschaft des Hundes, die der Wildhund nicht besitzt. Wohl aber hat er eine Anlage hierzu, wie schon aus seinem Geheul hervorgeht. Genau so liegt es bei anderen Haustieren. Wildenten und Wildgänse hüten sich, so viel zu schnattern wie unsere Hausenten und Hausgänse. Wildenten und Wildgänse sind auf dem Lande fast immer stumm, um sich ihren zahlreichen Feinden nicht zu verraten. Auch das fortwährende Krähen hat sich der Hahn als Haustier erst angewöhnt.

Der Mensch fand bald heraus, daß das Bellen des Hundes für ihn vom Vorteil war, weil es ihm den nahenden Feind oder einen Besuch anzeigte. Deshalb bevorzugte er die Hunde, die am meisten zum Bellen geneigt waren. Da solche Eigenschaften sich zu vererben pflegen, so hat der Mensch fast allen Hunden das Bellen angezüchtet. Am meisten eignen sich hierzu die kleinen Hunderassen, die den großsprecherischen Menschen gleichen, die mit Worten Helden sind, während ihre Taten zu wünschen übrig lassen. Sie haben zu dem Sprichwort Anlaß gegeben: Die Hunde, die da bellen, beißen nicht.

Zu den bellustigsten Hunderassen gehört der Spitz, und demnach auch unser Peter. Wegen seiner Kläffreudigkeit, die alles Verdächtige anzeigt, hat man ihn gern da, wo man auf Wachsamkeit Wert legt.

Wir sehen, daß die Frage, warum der Hund bellt, gar nicht so leicht zu beantworten ist. Nicht viel leichter sind seine anderen Taten zu erklären.